Gegen sektiererische Ansichten
Interview der buddhistischen Zeitschrift »Ursache und Wirkung« mit Geshe Tenzin Dhargye, dem persönlichen Österreich-Gesandten des Dalai Lama für das Buddhistische Institut in Hüttenberg.
U&W: Worin sieht SH Dalai Lama das Grundproblem in der so genannten Shugden-Problematik?
Geshe Tenzin Dhargye: Dass mit dieser Praxis eine sektiererische Sichtweise verbunden ist. Es gab in der Geschichte Tibets immer wieder Konflikte innerhalb der buddhistischen Schulen. Gelug-Lamas meinten, ihre Praxis sei die beste, um Erleuchtung zu erlangen, Nyingmapa-Lamas hätten nicht diese richtige Sichtweise – und umgekehrt. SH Dalai Lama ist gegen derartige sektiererische Ansichten, sie unterstützen nicht den Buddhismus in seiner Gesamtheit. In allen Schulen gibt es die geeignete Praxis, es ist günstig, alle Schulen des tibetischen Buddhismus zu studieren, das fördert auch den gegenseitigen Respekt.
U&W: Wenn sich nun rund um den Schutzgeist Dorje Shugden eine derartige Problematik entzündet, kann es sein, dass das ganze ›Schutzgeist-Thema‹ für westliche Praktikanten keine Bedeutung hat?
GTD: So kann man das nicht sehen. Es geht um die mit dieser Praxis verbundene sektiererische Sichtweise und nicht um die Schutzgeister selbst. Diese sind Teil der tantrischen Praxis, Gottheiten und Schutzgeister können von dieser nicht getrennt werden
U&W: Was hält der Dalai Lama von der ›Life Entrusting-Praxis‹ in der NKT ?
GTD: Er ist strikt gegen diese Praxis.
U&W: Am Rande des Shugden-Themas gibt es ein zweites. Das ist die Problematik um die Deutsche Carola Däumichen. Sie sagt, dass sie von drei Lamas als Tulku (wiedergeborener Lama, Anm. d. Red.) anerkannt worden sei. Inwieweit hat das Tulku-System für den Westen Bedeutung?
GTD: Es ist Teil der tibetischen Kultur und führt immer wieder zu Problemen. Vor zwei Jahren hat sich ein Amerikaner als Wiedergeburt von Buddha Maitreya bezeichnet. Das stieß bei vielen Menschen auf Unverständnis, und sie wandten sich an das Büro S.H. in Dharamsala. Dort wurde festgestellt, dass die Behauptung des Amerikaners nicht richtig sei. Wir sind gegen solche Praktiken, aber sie sind schwer zu kontrollieren. Auch beim Kalachakra-Ritual im Jahr 2000 in Graz wollte sich ein in Slowenien lebender Franzose in gleiche Höhe wie die Lamas setzen. Er sagte, er sei ein Tulku. Ich habe das untersagt. Es ist auch nicht jeder Tulku ein Lama. Das ist man erst, wenn man die entsprechende Praxis und Sichtweise eines Lama hat. Man muss studieren und praktizieren, um ein Lama zu werden. Man ist das nicht durch die Geburt.
U&W: Oft ist es für Anhänger schwierig, zwischen tibetischem Buddhismus und tibetischer Kultur zu unterscheiden. Was ist dabei zu beachten?
GTD: Als der Buddhismus aus Indien nach Tibet kam, hat er sich mit tibetischer Kultur verbunden, und es ist der tibetische Buddhismus entstanden. So etwas Ähnliches wird im Westen wieder geschehen. Buddhismus wird sich mit westlicher Kultur verbinden und seine eigenen Formen entwickeln müssen. ■