Colin Goldners umstrittene Ansichten zum Dalai Lama und Tibet

Buchbesprechung im Club Voltaire

Anlässlich der Neuauflage seines Buches »Dalai Lama - Der Fall eines Gottkönigs« gab Colin Goldner, auf Einladung des Club Voltaire, der Humanistischen Union und dem Freidenkerverband Offenbach, eine Autorenlesung im Club Voltaire in der kleinen Hochstraße in Frankfurt.

Einleitend und noch vor seiner Selbstdarstellung als Psychologe und Journalist erklärte er den Anwesenden, dass er nichts gegen Tibeter habe und dass er nicht von den Chinesen bezahlt wird. Umso verwunderlicher waren seine 2stündigen Tiraden gegen den Dalai Lama, die tibetische Kultur, gegen die tibetische Gesellschaft vor der Besatzung (Befreiung auch in seiner Terminologie) und gegen die »rechten Freunde« des Dalai Lama.

Die rethorischen Kunststücke, die man als Linker bzw. als Linksintellektueller von den Vertretern der bürgerlichen Rechten gewohnt ist und gegen die man sich verwahrt, beherrschte Herr Colin allesamt und scheute sich auch nicht sie für seine Thesen einzusetzen. So begann er nach den oben erwähnten Eingangsfloskeln auch gleich mit der traurigen Geschichte eines Affen in Nepal, der von einem buddhistischen Mönch erschreckt wurde, sich eine Hand an einem Gitter abriss und dann jämmerlich verendete. Diese unbelegte Einzelgeschichte diente als Einleitung zum weiteren Vortrag in dem es immer wieder um die Herzlosigkeit, den Mangel an Mitgefühl und die Gehässigkeit der tibetischen »Mönchsaristokratie« ging.

Im Vortrag wurde gerne der Begriff »Leibhaftiger« verwendet. Ein leibhaftiger Tibeter, ein leibhaftiger Lama, der leibhaftige Gottkönig usw., weiß man doch, was bei den aus westlich-christlicher Kultur kommenden Zuhörern beim Hören des Wortes »Leibhaftiger« ausgelöst wird. In der Ankündigung für die Veranstaltung war unter anderem zu lesen, dass Colin Goldner einen Blick hinter die Fassade des Dalai Lama geworfen hat. Der interessierte Zuhörer wird sich fragen, wer Colin Goldner diesen Blick gewährt hat bzw. wie er ihn erhaschen konnte. Um so mehr wenn schon im Vorfeld und im Laufe des Vortrags Zweifel an der Sachkunde des Referierenden auftauchen.

So kommt im Titel des Buches und im Vortrag immer wieder der Begriff »Gottkönig« vor. Jedem der auch nur ein bisschen verstanden hat um was es im Buddhismus geht, weiß, dass es keinen Gott im Buddhismus gibt, so wie die Existenz einer aus sich selbst heraus entstandenen und unabhängigen Wesenheit generell bezweifelt wird. Wer sich dann auch noch ein bisschen mit tibetischer Kultur befasst hat, der weiß, dass der Dalai Lama weder Gott noch König ist bzw. war. Begriffe, in die das Phänomen Tibet von Westlern in frühen Jahren schon gepackt wurde, finden bei Goldner besonders gerne Verwendung und man fragt sich ob er als angeblicher Kenner der Materie diese Begriffe aus Nachlässigkeit oder aus Boshaftigkeit verwendet. Auch Lamaismus ist eine solche falsche westliche Wortschöpfung die hierzulande und auch vom »Kenner« Goldner gerne für den tibetischen Buddhismus verwendet wird. Dass der Zuhörer sich beim Begriff »Seine Heiligkeit« die Anführungsstriche immer dazu denken sollte, hätte der Referent nicht extra erwähnen müssen, viel eher wäre interessant gewesen festzustellen, dass auch dieser Begriff eine westliche Höflichkeitsfloskel für Päpste und andere Kirchenführer ist, die eben auch für den Dalai Lama ohne sein Zutun Verwendung findet. Der Vortrag war des weiteren mit einer christlichen Terminologie (Bhardo = Jenseits und ähnlicher Unsinn) durchzogen, die bei einem, der Ansatzweise etwas von tibetischem Buddhismus versteht oder gar einem der hinter die Kulissen schauen kann, keine Verwendung finden dürften.

Neben der Verwendung falscher Begriffe gab es aber auch Darstellungen, die einfach auch sachlich falsch sind: So behauptete der Autor mehr als einmal, dass der Dalai Lama der Führer (auch ein immer wieder gerne genüsslich verwendeter Begriff …) der Gelugpa Schule des tibetischen Buddhismus sei. Das ist falsch, der Gelugpa – Schule steht schon immer Ganden Tripa vor. Im Vortrag war sogar zu hören, dass der Dalai Lama dem Vajrayana, womit vermutlich der gesamte tibetische Buddhismus gemeint ist, vorsteht, was um im Jargon Colin Goldners zu schreiben »völliger Blödsinn« ist. Sachlich falsch ist auch, dass die Tibeter keine medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung vor dem Einmarsch der chinesischen Armee kannten. Das Gegenteil ist richtig, die in Lhasa gegenüber dem Potala liegende tibetisch-medizinische Hochschule Men-Tsee-Khang sowie viele andere heilkundlichen Einrichtungen in ganz Tibet wurden von den chinesischen Besatzern zerstört, so dass eine medizinische Versorgung der tibetischen Bevölkerung erst nach dem Einmarsch der chinesischen Truppen überhaupt nicht mehr möglich war.

Eines konnte der Autor den Besuchern auch nicht klar machen, nämlich wie ein etwas über 20jähriger junger Mann (so alt war der Dalai Lama als er vor den chinesischen Besatzern ins indische Exil flüchtete) all die Verbrechen begehen konnte, deren ihn Goldner bezichtigt. Auch wo die 30.000 Menschen herkamen, die mit ihren Körpern und ohne Waffen die Chinesen davon abhielten, in den Sommerpalast vorzudringen um den Dalai Lama zu verhaften, nachdem man in Tibet (nach Goldner) doch so hocherfreut war »befreit« worden zu sein. Ein weiteres Rätsel konnte Goldner nicht lüften: Wie kommt es, dass, mehr als Kaugummi, Zigaretten oder sonstiges westliches Gut, noch immer ein Bild des Dalai Lama (obwohl verboten) das beliebteste Geschenk ist, das man Tibetern in Tibet machen kann. Ich könnte die Ungereimtheiten des Abends noch seitenweise fortsetzen, werde mir dies aber ersparen.

Nur noch kurz zum Abschluss: Wie geht es an, dass man in linken und/oder in humanistischen und freidenkerischen Kreisen die westlich/europäische Messlatte auf alle Kulturen anlegt, sich am Leid und erfahrener Ungerechtigkeit anderer Menschen erfreut  und sich über Behinderte und Verstorbene lustig macht? Unter anderem fielen die Worte »Rollstuhlschäuble« und »Haider im Bhardo« als man die »rechten Freunde«  des Dalai Lama aufzählte. All dies wurde dann auch noch schenkelklopfend mit schallendem Gelächter einiger anwesender Zuhörer belohnt.

Tja, kann sein, dass die Zeiten und die politischen Kulturen sich wieder mal am ändern sind.  ■

Herbert Rusche
Frankfurt

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Herbert Rusche

Herbert Rusche ist Gründungsmitglied der »Sonstigen politischen Vereinigung DIE GRÜNEN« und danach auch der Partei »DIE GRÜNEN«. Von 1981 bis 1983 amtierte Rusche als Landesgeschäftsführer des hessischen Landesverbandes der Grünen. Ab 1983 gehörte Rusche im Bundestag der Bundestagsgruppe der Grünen an, ab 1985 war er als Abgeordneter Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB). Er war mehrere Jahre Ratsmitglied der Deutschen Buddhistischen Union.

Siehe auch: http://www.herbertrusche.de