Buddhismus¹ & Film
Luc Schaedler
Der Grossteil der Filme die über Buddhismus gemacht wurden sind Dokumentarfilme. Fast ausnahmslos stammen sie von westlichen Filmemachern und beschäftigen sich hauptsächlich mit dem tibetischen Buddhismus, der seit den frühen achziger Jahren einen wahren Boom erlebt hat. Unter den „Buddhismus-Filmen“ gehören sie zu den erfolgreichsten – leider bleiben die meisten an der Oberfläche hängen. Die Dokumentarfilme sind meistens nur Darstellungen bestimmter religiöser Rituale: Der Herr der Tänze (1980), aussterbender Bräuche: Die Salzmänner von Tibet (1997), buddhistischer Phänomene wie Reinkamation: Das Gottkönigtum Tibet (1989) oder sie handeln vom buddhistischen Umgang mit dem Tod: Das Tibetische Totenbuch (1994). Einige wenige versuchen einen ganzheitlichen Überblick zu geben: Weltreligion: der Buddhismus oder Die Botschaft der Tibeter (1960), doch sie behandeln nur die esoterische Aspekte des Buddhismus und gleiten ins Okkulte ab. Es gelingt den Filmemachern nicht den Buddhismus darzustellen, wie er im Alltag der Menschen heute gelebt wird. Einen Versuch gerade diesen Alltag ins Zentrum seiner Filme zu stellen unternahm Clemens Kuby mit seiner Tibet-Trilogie: Das Alte Ladakh (1985), Tibet – Widerstand des Geistes (1989) und Living Buddha (1994). Doch auch er kommt über die Idealisierung von Tibet und dem Buddhismus nicht hinaus. Seine Kemaussage lässt sich auf folgenden (vereinfachten) Punkt bringen: die buddhistischen Tibeter konnten ihre kulturelle Identität über Jahrtausende (sic!) erhalten und leben seit jeher im Einklang mit ihrer Umwelt. Was in China nun der Bedrohung ausgesetzt ist, überlebte ungebrochen in Ladakh und der tibetischen Exilgemeinde in Indien.
Obige Kritik an den Filmen, im Bezug auf ihre Darstellung des Buddhismus, soll kein Urteil über ihre ästhetischen Qualitäten sein. Oft handelt es sich um schöne und ergreifende Filme. Das Alte Ladakh war für mich 1988 der Hauptgrund nach Indien und Tibet zu reisen und steht am Anfang meiner Auseinandersetzung mit Tibet und Buddhismus. Und bei Die Salzmänner von Tibet handelt es sich um ein ethnographisches Meisterwerk von poetischer Schönheit. Doch die wenigsten Filme setzen sich wirklich mit dem Buddhismus auseinander, sie verharren im unkritischen Darstellen. Der Rat des Dalai Lamas an westliche Buddhisten ihren Verstand zu gebrauchen und nicht alles zu glauben, was man ihnen über Buddhismus erzählt, bleibt ungehört. Dies führt zu gravierenden Missverständnissen: das spezialisierte Wissen einer kleinen Mönchselite wird als kulturelles Allgemeingut verkauft; der Buddhismus wird als statisch dargestellt, bar jeder inneren Dynamik; es wird ein simpler Gegensatz konstruiert zwischen Ost und West – dort kulturelle Identität und Innenansichten, hier Entfremdung und Aussenansichten. Der Buddhismus wird zur Projektionsfläche, die letztlich mehr über uns aussagt, als sie dem komplexen Themenbereich gerecht werden.
Doch es gibt Ausnahmen, von denen ich hier einige stellvertretend erwähnen möchte. Raid into Tibet (1960) zeigte in den sechziger Jahren wie buddhistische Mönche für das Gelingen eines Überfalls auf einen chinesischen Konvoi beten, den tibetische Guerillakämpfer planen. Dem Mythos, dass Tibet jahrtausendelang gewaltfrei war, wird ein harter Schlag versetzt. In Eine buddhistische Trilogie (1975) werden die Gebete der Mönche tatsächlich übersetzt und nicht in einem Kommentar zusammengefasst. Es handelt sich dabei um den ersten Schritt innerhalb der „Buddhismus-Filme“, dem gezeigten Subjekt die eigene Stimme zu geben und es nicht zu vertreten. Ein wahrlicher Paradigmenwechsel findet mit Die Reinkarnation des Khensur Rinpoche (1991) statt. Es handelt sich dabei um den ersten Film von Tibetern über die eigene Kultur. Der Auffindungskrimi und die esoterischen Aspekte der Reinkarnation werden zugunsten der Darstellung des Alltages aufgegeben. Nicht das Phänomen der Reinkarnation interessiert, sondern die Beziehung des ehemaligen Dieners zu seinem Lehrer, dem er jetzt Vater sein muss. Diese „Umkehr“ der Beziehung erlaubt eine tiefen Einblick in das Alltagsleben buddhistischer Geistlicher. Einen anderen – nicht minder interessanten – Ansatz wählt eine amerikanische Ethnologin in Films are dreams that wander in the light of day (1989). Die Autorin stellt unterschiedliche Konstruktionen von Tibet (und Buddhismus) nebeneinander, um damit ihr eigenes, aber vielschichtiges Bild zu entwerfen. Die Konstruktion „des Anderen“ wird nicht verheimlicht, sondern ist Ausgangspunkt des Filmes.
Was im Dokumentarfilm noch epischer Natur ist und sich Zeit nimmt, wird in der Werbung noch zugespitzt und auf den Punkt gebracht. Alle Merkmale der westliche Aneignung und Wunschvorstellungen des Buddhismus finden sich hier in verdichteter Form wieder: buddhistische Mönche levitieren, damit man unter ihnen Staub saugen kann: Electrolux Widetrack; buddhistische Gelehrte, die sich als Autos reinkamieren: Xara Coupe oder der Zen-Mönch der mit Grüntee, die Erlösung von der (japanischen) Alltagshektik erfahrt: Tschae Lipton. Der Werbung gemeinsam ist die Verwendung der exotischen, buddhistischen Ikonographie: Klöster, Mönche, Buddhastatuen, okkulte Praktiken und nicht zuletzt die Farben. Eigentlich selbstverständlich - denn sie haben ein Produkt zu verkaufen.
Wie verhält es sich nun mit den Spielfilmen, die sich dem Thema des Buddhismus beschäftigen? Ab den achziger Jahren steigt die Zahl der „Buddhismus-Filme“ sprunghaft an. Einerseits lässt sich das mit der Zunahme des asiatischen Filmschaffens erklären und mit deren verstärkter Wahrnehmung im Westen. Andererseits geht der Sprung auf ein westliches Phänomen zurück, das ich hier den „Dalai Lama-Effekt“ nennen werde. Der Dalai Lama als internationale Identifikationsfigur machte den Buddhismus in den achziger Jahren als Massenphänomen salonfähig. Doch woher kommt diese Faszination mit dem Buddhismus? Die Romantisierung des Orients hat eine lange Geschichte im Westen², die auf einem zentralen Gegensatz basiert: der Westen spürt einen inneren Mangel (Entfremdung) und fantasiert die Antwort durch einen Prozess der Projektion in den Osten (hier: Buddhismus). Auf filmischer Ebene stellt Siddhartha (1972) den Wendepunkt dar. Die bildgewaltige Umsetzung von Hesses Klassiker liefert keine tiefen Einsichten, aber sie sagt viel über den Zustand der Hippiebewegung aus. Die politisierte (von der existentialistischen Gedankenwelt beeinflusste) Protestbewegung, wandte sich in den siebziger Jahren vermehrt spirituellen Themen zu. In östlichen Philosophien – auch dem Buddhismus – fanden viele eine Antwort auf ihre Fragen: das kollektive und politische wurde vom individuellen und spirituellen abgelöst, denn eine Veränderungen der Gesellschaft konnte nur dann stattfinden, wenn auch der Einzelne bereit war sich zu verändern. Die Bedeutung welche der Buddhismus der Selbstverantwortung beimisst und das Ideal des Boddhisattvas (Tibet) – wo der Erleuchtete auf das Nirvana verzichtet, um in der Welt wiedergeboren zu werden, damit er anderen Menschen helfen kann – bestärkte viele in ihrer Hoffnung, endlich den richtigen Weg gefunden zu haben. Ausserdem lieferte der Buddhismus mit seiner erfolgreichen Methode der Meditation eine gewisse Garantie für westliche Zweifler. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, dass fast alle westlichen Filmemacher, die sich in den letzten Jahren mit Buddhismus beschäftigten, gerade aus dieser Generation stammen: Bemardo Bertolucci, Martin Scorsese, Herbert Achtembusch und Doris Dörrie.
Die „buddhistischen“ Spielfilme im Westen sind geprägt vom Gegensatz zwischen Ost und West. Am deutlichsten vielleicht in Little Buddha (1994), der auch auf formaler Ebene ganz auf diesen Unterschied setzt. Die Aufnahmen von Seattle (USA) sind im kalten Blau gehalten, während die tibetischen Mönche und später im Film die Aufnahmen in Bhutan, in warmen Orange- und Gelbtönen gehalten sind: das westlich Materielle versus das buddhistisch Spirituelle. Obwohl die Geschichte berührt ist sie doch zu simpel, um eine vertiefte Diskussion über den Buddhismus auszulösen. Vor allem die Biographie Buddhas orientiert sich nur an dessen mystifizierter Legende, die als Gutenachtgeschichte erzählt wird. In Heaven and Earth (1994) strapaziert Oliver Stone den erwähnten Gegensatz aufs äusserste. Gespickt mit buddhistischen Halbweisheiten, wird eine Parabel vom Untergang des Paradieses erzählt. Was damit beginnt den Vietnam-Krieg als mörderische Katastrophe für Südostasien zu zeigen (und nicht als Katastrophe für die USA), endet mit der (westlichen) Trauer über das verlorene Paradies. Der Buddhismus und das alte Vietnam dienen lediglich zur farbenfrohen Illustration. Ganz anders nähern sich die Filme Erleuchtung garantiert (2000) und Ab nach Tibet! (1993) dem Thema. Auch hier ist vom Gegensatz die Rede – verunsicherte Deutsche suchen ihr Heil im Osten – aber mit einem gehörigen Schuss Selbstironie. Achtembusch bleibt seinem anarchistischen und dadaistischen Humor treu. Ab nach Tibet! zeigt auf witzige Weise, dass seine (bayrischen) Gedanken zum Leben, gar nicht so weit weg sind von buddhistischen Einsichten: der Welt ist mit vorgefassten und konventionellen Kategorien nicht beizukommen. In einem Interview antwortete Dörrie (Erleuchtung garantiert) auf die Frage, wo denn für sie die Faszination des Buddhismus liege: „(...) mir kommt es manchmal so vor, als ob es mir leichter fällt, eine fremde Sprache zu lernen und dann zu kapieren, was Grammatik ist (...). Ich erkenne sie viel leichter in der fremden Sprache. Und so ist es mit dem Buddhismus auch.“³ Durch die erwähnte Vereinfachung bietet sich der Buddhismus geradezu als Ersatzreligion an. Eine Spielform des oben diskutierten Gegensatzes ist die Läuterung: der Kontakt mit dem „Anderen“ (hier: Buddhismus) soll eine heilende Wirkung haben. Im Film Sieben Jahre in Tibet (1997) wird – ganz anders als im gleichnamigen Buch – die Läuterung des egozentrischen Europäers (Harrer) durch den Kontakt mit der fremden Kultur geschildert. Tibet und der Buddhismus werden zum spirituellen Jungbrunnen. Unerträglich wirkt, wie aus allen Tibetern weise Sprüche fliessen. Auch die Beziehung zum Dalai Lama wird im Film zu einer spirituellen umfunktioniert, obwohl sie im Buch hauptsächlich von der „wissenschaftlichen“ Neugier des jungen Dalai Lamas geprägt war, der von der für ihn fremden Welt draussen hören – und nicht umgekehrt. Auch im Hollywood-Film Verlorener Horizont (1937), ist die Läuterung zentrales Thema: Tibet und die buddhistische Philosophie verkommen zu einem Projektionsfeld unserer Phantasien, die geprägt sind vom Wunsch, dass irgendwo in Tibet, in einem abgelegenen Tal (Shangri La), das Heil der Menschheit verborgen liegt – allerdings ganz im Dienste der westlichen Menschheit. Ausser, dass von Gleichmut und vom Mittelweg die Rede ist, hat die gepredigte „Philosophie“ herzlich wenig mit Buddhismus zu tun.
Sie entstammt vielmehr der westlichen – leicht sozial- und zivilisationskritischen – Tradition. Auch im Abenteuerfilm Sturm über Tibet (1951) fuhrt der Kontakt zur fremden Welt zu einem Umdenken des Protagonisten – jedoch weniger um das Heil zu finden, als aus Angst vor den magischen Kräften buddhistischer Mönche. Im aktuellen Film Namgyal - Die Geschichte eines buddhistischen Mönches (2000), der auf einer wahren Begebenheit basiert, wird ein westlicher Journalist durch die ihm erzählte Lebensgeschichte eines tibetischen Arztes geläutert. Die verschiedenen Stationen im Leben des Arztes und seine Auseinandersetzung mit dem Buddhismus (er sollte Mönch werden), bilden den dramaturgischen Spannungsbogen. Der Film thematisiert aber auch, wie die westlichen Verhaltensmuster, Wertmassstäbe, Konsumgüter die buddhistische Kultur verändern.
Andere westliche Filmemacher versuchen eine Sicht von Innen zu präsentieren. Für mich das prominenteste Beispiel hierfür ist Kundun (1997) von Scorsese, der an anderer Stelle im Buch ausführlicher behandelt wird. Hier nur so viel: Scorsese zeigt die Lebensgeschichte des Dalai Lamas ausschliesslich im spirituellem Licht. Alles was der Dalai Lama sagt wird zur buddhistischen Botschaft – und man fragt sich, an wen sie sich denn richtet?. Konsequent weicht Scorsese auch der Frage konservativer buddhistischer Strömungen innerhalb Tibets aus, deren Intrigen sich in unmittelbarer Nähe des Dalai Lama abgespielt haben. Nicht was er zeigt in Kundun, sondern was er auslässt ist interessant.
Aus dem oben beschrieben Rahmen westlicher „Buddhismus-Filme“, fallen drei heraus, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Leuchte Asiens (1925) ist nicht nur der älteste unter den Filmen, sondern auch der einzige, der sich explizit der Biographie Buddhas zuwendet (mit Little Buddha als Ausnahme). Interessant ist der gewählte Erzählrahmen: eine Gruppe deutscher Touristen nehmen sich einen lokalen Reiseführer, der sie auf ihrer Pilgerreise durch Indien begleitet und anekdotisch das Leben Buddhas erzählt – im Film mittels Rückblenden. Nicht die Wahrheit über Buddha steht im Zentrum des Filmes, sondern die Neugier der fremden Touristen. Nicht dem Leben Buddhas, sondern der Reinkarnation wendet sich die amerikanischen Komödie Und täglich grüsst das Murmeltier (1992) zu. Im Film findet sich ein Wetterfrosch in der unangenehmen Lage, immer wieder am selben Morgen aufzuwachen. Erst frustriert, dann erfreut, weil er Kapital aus seiner Not schlagen kann, lernt er endlich, dass nur die Liebe diesen Zyklus durchbrechen kann. Leider geht die Geschichte – buddhistisch analysiert – in einem wesentlichen Punkt nicht auf, denn Phil weiss von seinen Wiedergeburten. Im Buddhismus ist es uns Menschen aber nicht vergönnt im „neuen“ Leben zu wissen, was wir im „alten“ falsch gemacht haben. Paradoxerweise ist es ein amerikanischer Actionfilm – Die Matrix (1999) - der sich einer der komplexesten Diskussionen innerhalb der buddhistischen Philosophie annimmt (Yogacara-Schule)⁴. Dieser liegt der Gedanke zugrunde, dass die objektive Realität, wie wir sie wahmehmen, letztlich ein Produkt unseres Geistes sei – eine Illusion. Im Film realisiert ein Hacker, dass die Welt in Wirklichkeit eine raffinierte Komputersimulation ist – die Matrix – die von Maschinen mit künstlicher Intelligenz in der Vergangenheit erschaffen wurde, um die Menschen über ihr wahres Dasein zu täuschen. Denn die Menschen sind zu Batterien der Maschinen geworden. Wenige „Erleuchtete“ haben den Betrug erkannt und eine Anti-Illusions Guerilla gegründet, um die Menschheit zu befreien. Ihr Anführer beschreibt die Illusion: „Du wie jeder andere bist in Fesseln geboren. Du wirst in einem Gefängnis gehalten, das du weder riechen, noch schmecken, noch berühren kannst. Es ist das Gefängnis unseres Geistes.“ Da sie als „Erleuchtete“ über der Illusion stehen, sind sie nicht mehr an die Gesetze der Schwerkraft gebunden, sondern frei – im Film eindrücklich visualisiert, durch bisher nie gesehene Kampfszenen⁵. Sie bekämpfen die Matrix. Wie stark aber die Verlockung der Matrix (Illusion) ist, zeigt sich am Verräter, der seine Guerilla-Kumpanen den Maschinen ausliefert, um ins angenehme Leben der Illusion zurückkehren zu können.
An der Schnittstelle zwischen westlichen Darstellungen des Buddhismus und der Selbstdarstellung, die in den asiatischen Filmen folgen wird, steht der russische Revolutions-Film Sturm über Asien (1929). Einer der ältesten „Buddhismus-Filme“ überhaupt, ist seine Kritik an der buddhistischen Religion – die nicht immer im Dienste des Volkes sei – gleichzeitig eine genaue Schilderung des buddhistischen Alltags in der alten Mongolei. Für lange Zeit einmalig (und in westlichen Filmen nie unternommen), ist seine Behandlung des Buddhismus in einem gesellschaftlichen Kontext.
Dies bringt uns kurz zurück zu den Anfängen des Buddhismus. Seine Geburtsstunde vor 2500 Jahren fällt mit einer Periode des sozialen und gesellschaftlichen Wandels in Indien zusammen. Aus einer fragmentierten und seminomadischen Kultur, formierte sich ein agrarische, zunehmend sesshafte Gesellschaft mit sich entwickelnden Staatsgebilden, die im Buddhismus ihre Religion fanden. Zulauf fand die neue Religion aber auch bei ärmeren Schichten, da der Buddhismus seine Philosophie nicht auf das bestehende Kastensystem des Hinduismus abstützte und somit allen offen stand. Die dem Buddhismus inhärente Möglichkeit zur Erleuchtung, wurde als Hoffnung verstanden, seine unmittelbaren Lebensumstände (Armut) im Hier und Jetzt verändern zu können. Das gesellschaftlich-soziale Erbe des Buddhismus scheint in Asien bewusster wahrgenommen zu werden als im Westen. Und gerade das Medium Film beweist seine Stärke dort, wo die Konfrontation von religiöser Tradition (hier: Buddhismus) und moderner Lebenswelt unübersehbar wird.
Der Film wird Teil der Konstruktion kultureller Identität in Ländern, die sich in einem Prozess des Wandels befinden. Aufschlussreich im Film Das Seil (1991) aus der Mongolei. Im Stil des italienischen Neorealismus beschreibt er die Identitätskrise der modernen Mongolei anhand eines jugendlichen Diebes. Erst der Kontakt zu einem älteren Mann offenbaren dem Knaben neue Werte, die geprägt sind von der buddhistischen Tradition. Eine Verbindung vom Neuen zum Alten findet statt – aber zu spät. Beim letzten Einbruch – der Knabe verrät seine Bande – wird er von seinen ehemaligen Freunden umgebracht. Der chinesische Film Herzklopfen (1990) bedient sich des Mikrokosmos der Familie, um auf das gesellschaftliche Ganze zu verweisen, das geprägt ist vom Konflikt zwischen Tradition (hier: Buddhismus) und Moderne. Die Reflexion über die eigenen kulturellen Wurzeln wird wichtiger Bestandteil der Identitätsfindung. Auch der taiwanesische Film Yi Yi (2000) bedient sich der Familie, um damit auf das Leben zu verweisen – das Grosse, spiegelt sich im Kleinen. Es ist denn auch der kleine Junge, der zentrale „buddhistische“ Fragen aufwirft, die er gleich selbst versucht empirisch zu beantworten: „Weshalb dürfen wir nur die Hälfte der Wahrheit sehen“, fragt er seinen verblüfften Vater und fügt hinzu: „Wir können nämlich nur sehen was vor uns ist“. Fortan beginnt er die Menschen von hinten zu fotografieren, um ihnen das zu zeigen, was sie von sich (noch) nicht kennen. Ganz anders nähern sich Die Gelbe Robe (1969) und Die Jagd (1984) aus Sri Lanka dem Thema der kulturellen Identität. Die Hinwendung zweier Frauen zum Buddhismus dient dazu ihre Entfremdung zu überwinden, die sie in der singhalesischen Gesellschaft und den für sie einschränkenden Konventionen, erfahren. Während die Frau in Die Gelbe Robe zur buddhistischen Nonne wird, stirbt die Protagonistin in Die Jagd durch ihren Peiniger, der sie mehrfach mit dem Auto (Symbol der Moderne?) überfährt. Das optimistische Bild von 1969 weicht dem pessimistischen von 1984. Schwieriger wird die Diskussion im Fall des japanischen Filmemachers Yasujiro Ozu, der sich gegen die (westliche) Zuschreibung, ein Zen-buddhistischer Filmemacher zu sein, entschieden wehrte: „Die verstehen nichts - deshalb sprechen sie von Zen oder so ähnlich!“⁶ Die Zuschreibung ärgerte ihn deshalb, weil damit die Behauptung verbunden war, ein Traditionalist zu sein. Ozu sah sich aber zurecht als ein moderner Filmemacher, dessen Filme sich im Spannungsfeld des gesellschaftlichen Wandels abspielen. Am vielschichtigsten in Später Herbst (1949). Voller Bezüge zur japanisch-buddhistischen Ikonographie – Tee Zeremonien, Zen-Gärten, buddhistischen Tempel und der Landschaft um Kyoto, der buddhistischen „Hauptstadt“ Japans – zeigt der Film auf, dass die Anforderungen der Modernität, die sich im gesellschaftlichen Wandel ausdrückt, in Einklang gebracht werden können mit dem kulturellen Erbe.
Dass der Buddhismus nicht nur eine religiöse Bedeutung hat, sondern auch eine Verantwortung im Alltag, zeigt Roter Bambus (1978) aus Thailand. Ein kommunistischer Dorfaktivist und ein buddhistischer Mönch kriegen sich wegen des Baus einer Dorfschule ständig in die Haare. Erst das Miteinander bringt dem Dorf die erhoffte Schule – Mönche und Dorfleute sammeln Geld und jagen die korrupten Gangster von der Baustelle. Die witzigste Szene ist das Zwiegespräch des Mönches mit seiner Buddhastatue: plötzlich beginnt Statue zu sprechen und der Buddha stellt sich als ungleich progressiver heraus als der Mönch. Einen Buddhismus im Alltag zeigt auch der umstrittene chinesische Film Der Pferdedieb (1983). In eindringlichen Bildern schildert er die harschen Lebensbedingungen tibetischer Nomaden. Dabei spürt der Film kritisch den Möglichkeiten aber auch den Beschränkungen der buddhistischen Religion nach, die den Alltag durchdringt und bestimmt: einerseits stiftet sie kulturelle Identität, verliert aber ihre Bedeutung, wenn man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Mit Pratidwandi (1970) schafft Satyajit Ray ein radikales Gegenstück zum historischen Buddha. Sein „Widersacher“ (so der englische Untertitel des Filmes) ist ein städtischer Inder. Ray zeigt, wie es sich anfühlt im modernen und politisierenden Kalkutta jung, bewusst aber auch unentschlossen zu sein. Wie einst Siddharta, begibt sich auch der junge Arbeitslose auf die Suche, nicht nur nach Arbeit, sondern auch nach dem Sinn des Lebens und seinem Ort darin. Doch der erfrischendste Film, der das Thema der kulturellen Identität mit dem des gesellschaftlichen Wandels verbindet, ist der erste tibetische Spielfilm überhaupt: Phörpa – Spiel der Götter (1999). Der Regisseur, selber eine bedeutender Lama, inszenierte den Film im eigenen Kloster. Es ist die Geschichte fussballverrückter Novizen, die alles unternehmen, die Weltmeisterschaft am TV verfolgen zu können. Ihre grossen Vorbilder sind nicht der Dalai Lama oder Buddha, sondern Ronaldo und Zidane. Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit und viel Humor beschreibt der Film den buddhistischen Klosteralltag in Nordindien und äussert sich zur Befindlichkeit der tibetischen Exilgemeinde: der alte Abt des Klosters packt jeden Abend seine Kisten, damit er jederzeit zurück nach Tibet kann; die Probleme der neuankommenden Flüchtlinge aus dem besetzten Tibet oder die Langeweile während der monotonen Gebete, die sich die Novizen mit Lausbubenstreichen verkürzen. Im Kloster und im Buddhismus geht es prosaischer zu und her als man sich als Westler vorstellen kann.
Andere Filme lösen sich vom Alltag und wenden sich philosophischen Themen zu. Das Ideal des Boddhisattvas, der selbstlos aufs Nirvana verzichtet, um in der Welt wiedergeboren zu werden, findet sich in zwei japanischen Klassikern. In Rotbart (1965) von Kurosawa versucht Akahige Gutes zu tun, was andere dazu verleitet, es ihm gleichzutun: eine Zen-Meister Figur, die andere Menschen mit Situationen konfrontiert an denen sie wachsen. Expliziter, mit unübersehbaren visuellen Bezügen zum Buddhismus, arbeitet Die Birmanische Harfe (1956). Im Krieg wird ein japanischer Soldat von einem burmesischen Mönch gerettet. Der Japaner klaut dessen Robe, um wieder zurück zu seiner Truppe zu kehren. Als Mönch verkleidet macht er sich auf den Weg und sieht schreckliche Bilder des wütenden Krieges. Auf seinem Weg überwältigt ihn die Kraft der buddhistischen Robe. Er wird zum „Boddhisattva“, der in Burma bleiben wird, bis der Krieg vorbei ist. Der Reinkamation widmet sich der japanische Film Nach dem Leben (1998). Nach ihrem Tod verbringt eine Gruppe von Menschen ihre Zeit damit, den entscheidenden Moment in ihrem Leben zu bestimmen. Jede Seele muss eine Erinnerung aus dem vergangenen Leben wählen, die sie als „ewige Identität“ behalten möchte. Der gewählte Moment soll als Kurzfilm gedreht werden. Die Filme der anderen soll einem bei der eigenen Entscheidung helfen. Wichtige Elemente der buddhistischen Vorstellung von Tod und Wiedeigeburt sind hier enthalten: die Seele kommt in einen Zwischenzustand, wo der Verstorbene nochmals mit dem „Leben“ (seinen Ängsten, Wünschen und Hoffnungen) konfrontiert wird. Entscheidend für die Wiedergeburt sind nicht nur die Taten vergangener Leben (Karma), sondern auch, wie man auf die Konfrontation reagiert. Pessimistischer behandelt Glückloses Glück (1991) aus der Mongolei das Thema. Ein Knabe setzt sich in den Kopf die Reinkamation des Dalai Lamas zu sein. Die Idee wird zur Obsession und er verliert den Verstand darüber. Seine Mutter, der Situation nicht gewachsen, will sich und ihn töten; vor einem zugefrorenen See beginnen sie zu beten.
Dem Verwirrspiel von Wahrnehmung und Illusion wenden sich zwei unterschiedliche Filme zu. Im japanischen Klassiker Rashomon (1950) wird ein Mord untersucht, die sich widersprechenden Zeugenaussagen schaffen keine Klarheit. Ein „buddhistischer“ Film insofern er zeigt, dass unsere Wahrnehmung selektiv ist. Je nach Standort (und Interesse) nehmen wir das Geschehene anders wahr. Einzig die Geschichten kombiniert ergeben so etwas wie die „richtige“ Wahrnehmung. An der Oberfläche ist die Wahrheit nicht zu finden, sie liegt tiefer. Im Kung Fu Klassiker Regen in den Bergen (1979) von King Hu verlieren sich die Streitparteien im Labyrinth eines buddhistischen Klosters. Alle rennen sie einem buddhistischen Text (Sutra) nach, der Allmacht verspricht. Doch die Suche und der Streit um die begehrte Schriftrolle erweist sich als Illusion, denn ein ehemaliger Sträfling – als Aussenseiter befreit von gesellschaftlichen Konventionen – hat den Text längst zerstört. Vom sterbenden Abt wird er als sein Nachfolger eingesetzt, weil er Weisheit bewiesen hat. Vom gleichen Regisseur stammt ein weiterer Kung Fu Klassiker: Ein Hauch von Zen (1969) ist Gespenstergeschichte, historischer Politthriller und metaphysisches Traktat in einem. Vor allem die eindrückliche Schlusszene ist geprägt von buddhistischen Zeichen. Ein Zen-Mönch schaltet sich im Kampf gegen das Böse ein. Durch eine Hinterlist wird er getötet; sein Blut fliesst in einem goldigen Strom aus seinem Körper. Der feuerrote Ball der untergehenden Sonne strahlt hinter seinem Kopf während er die Erleuchtung erlangt und mit erhobener Hand den Guten noch den Weg weisen kann. Die Kampfszenen im Film sind einmalig, sie zeugen von einer Eleganz und Schwerelosigkeit, die symbolisch auf den Zustand der „Erleuchtung“ verweisen. Dieses Bild der Leichtigkeit, jenseits der physikalischer Regeln, findet sich in vielen chinesischen Kung Fu- und japanischen Samurai-Filmen wieder. Der Held – meistens ein Aussenseiter, der nicht an gesellschaftliche Konventionen gebunden ist – erreicht eine innere Freiheit, die ihn zu „Übermenschlichem“ befähigen. Stellvertretend für das gesamte Genre seien hier der Hong Kong-Klassiker Die 36 Kammern des Shaolin (1978) und der Samurai-Film Yojimbo – der Leibwächter (1961) von Kurosawa erwähnt.
Buddhistische Folklore der anderen Art findet sich ein einem alten chinesischen Zeichentrickfilm: Die Prinzessin mit dem Eisenfächer (1941). Der Affenkönig begibt sich mit einem buddhistischen Mönch und dessen Schülern, dem Schwein und dem Bonzen, auf eine Pilgerreise nach Indien. Sie sind auf der Suche nach heiligen Schriften (Sutras). Dazu müssen sie die flammenden Berge überwinden, deren Feuer nur mit dem Eisenfächer der Prinzessin gelöscht werden kann. Es entbrennt ein erbitterter Kampf mit mythologischen Wesen um besagten Fächer, der als Symbol für die Möglichkeit des Menschen steht, die flammenden Leidenschaften zu überwinden und den Zyklus der Wiedergeburten (Samsara) zu durchbrechen. Trotz Buddhismus-Bezug, steckt der Film voller Andeutungen der japanischen Besetzung Chinas. Im Titellied wird verschlüsselt zum Widerstand aufgerufen.
Die vielschichtigsten Filme zum Thema Buddhismus kommen jedoch aus Südkorea. Ihr zentrales Thema ist die Metapher des Weges. Buddhas Werdegang bis hin zu seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum in Bodhgaya (Indien) vor 2500 Jahren, war selber ein Weg und erzählt vom Eintauchen ins Leben, seiner asketischen Abwendung, bis er im Mittelweg zu seiner Erleuchtung finden konnte. Nur im Sich-Aussetzen liegt die Möglichkeit Erkenntnis und Erfahrung zu gewinnen. Den südkoreanischen Filmen gelingt es diesen symbolhaften inneren Weg in der äusseren Welt mit den sozialen Problemen des eigenen Landes zu verbinden. Nicht nur die spirituelle Entwicklung der Protagonisten wird thematisiert, sondern auch die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung dargestellt. Am stärksten kommt dies in Komm, komm höher (1989) zum Ausdruck. Der Film ist im Korea der achziger Jahre angesiedelt, das durch militante studentische und gewerkschaftliche Auseinandersetzung mit der Regierung gekennzeichnet war. Zwei buddhistische Nonnen werden auf ihrem „Weg“ gezeigt: die eine im Kloster, den traditionellen, asketischen Weg gehend, während sich die andere dem Leben aussetzt. Es ist kein Zufall, dass ihr verstorbener Freund ein untergetauchter Aktivist der Studentenbewegung war. Am Ende des Filmes kehrt die Nonne – scheinbar gescheitert in ihrer Suche – ins Kloster zurück. Doch nur die Äbtissin erkennt, dass sie ihren Weg gefunden hat und nimmt sie wieder im Kloster auf. Komm, komm höher ist das feministische Pendant des Meisterwerkes Mandala (1981) des selben Regisseurs. Das Unterwegssein ist der Ausgangspunkt des Filmes. Überzeugend ist der visuelle Umgang mit dem Thema. Immer wieder die Strassen, die Wege, die die Mönche bei jedem Wetter, bei Sonne, Regen und Schnee unter die Füsse nehmen. Die beiden Mönche begegnen sich denn auch während einer Busfahrt. Auch der aktuellere Film Hwaomkyung (1993) benutzt die Metapher des Weges zurück: Sonje, ausgesetzt von seiner Mutter, wächst bei einem Dieb auf. Nach dessen Tod macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. In den Stationen seiner Suche trifft er auf unterschiedliche Menschen, die unterschiedliche Aspekte des Lebens verkörpern: ein Mönch, der die Erleuchtung sucht; ein LKW Fahrer, der Frauen nachjagt; ein Arzt, der anderen Menschen hilft; ein Zuhälter und ein politischer Aktivist. Allmählich realisiert Sonje, dass die Suche nach der Mutter, letztlich die Suche nach dem Buddha in ihm selbst war. Der bekannteste Film aus Korea ist aber Warum Bodhidarma in den Orient aufbrach (1989), der an anderer Stelle im Buch ausführlich behandelt wird. Bei Bodhidarma handelt es sich nicht um die Darstellung eines hermetischen Buddhismus, wie oft behauptet wird. Der Film ist integriert im heutigen Südkorea, was in einer kurzen, aber bedeutsamen Szene zum Ausdruck kommt. Der Schüler verlässt das Kloster im Wald, um in der Stadt nach Almosen zu sammeln. Da steht er nun mit seiner Schale inmitten von Menschen. Die Kamera fahrt langsam zurück, der Mönch wird immer kleiner, bis er sich in der Menge verliert. ■
Fußnoten
¹ Wenn hier von Buddhismus die Rede ist, geht es nicht um die unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb der jeweiligen Kultur, sondern um die zentralen Kerngedanken des Buddhismus. 1: Die Vier Edlen Wahrheiten, die besagen, dass unsere Existenz leidvoll ist und dass die Ursachen dafür – Gier, Hass und Unwissenheit – in unserem Geist zu suchen und auch dort zu überwinden sind. 2. Die Drei Juwelen, die uns auffordem in Buddha (Ziel, Erleuchtung), in Dharma (Lehre; Methode) und der Sangha (Gemeinschaft, Unterstützung) Zuflucht zu suchen. 3. Die Lehre vom leidvollen Lebenssyklus (Samsara) in den wir immer wieder hineingeboren werden (Reinkamation). 4. Das Konzept des Mitgefühls (der Verantwortung anderen zu helfen). Angaben aus: S. Batchelor: Mit anderen allein. Eine existentialistische Annäherang an den Buddhismus. Theseus Verlag 1992. (Zürich/München).
² E. Said: Orientalism. Vintage Books 1979. (New York). P. Bishop: The Myth of Shangri-La. Tibet Travel Writing and the Western Creation of Sacred Landscape. Athlone 1989. (London).
³ Gespräch mit M. Prott in: eurogay (6.1.2000).
⁴ J. L. Ford in: The Journal of Religion and Film: Buddhism, Christianity and The Matrix. Vol.4, No.2, October 2000.
⁵ Das Thema der Aufhebung der Schwerkraft als Visualisierung eines höheren Bewusstseinszustandes findet sich auch in Kung Fu- und Samurai-Filmenfilmen. Siehe weiter unten.
⁶ D. Bordwell: Ozu and the Poetics of Cinema, bfi Publishing 1988. (Princeton).